Thursday 2 October 2008

„Wir haben zu viele kriminelle Ausländer"

Mügeln im August letzten Jahres: Es ist Stadtfest, abends kommt es im Festzelt
zu einer Rangelei zwischen Deutschen und Indern. Flaschen splittern, einige der
Deutschen erleiden Schnittwunden, sieben Inder sind verletzt, zwei davon schwer. Unter Todesangst flüchten sie in ihre Pizzabäckerei. Vor ihrem Laden versammeln sich ungefähr 50 Leute, es erklingen Parolen wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, eine Scheibe wird eingeworfen. Die Polizei verhindert die Erstürmung des Ladens. In der Politik ist man entsetzt, spricht von einem „unerträglichen Gewaltexzess“, Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt sich „beschämt“. Journalisten hetzen nach Mügeln, machen Jagd auf Bewohner und Experten, fragen nach dem “Warum?”.

Mügeln ist eine Kleinstadt in Sachsen, einem Bundesland im Osten Deutschlands. Die Migrantenquote ist hier, wie in allen neuen Bundesländern, extrem niedrig. So gehören von den Menschen, die in Sachsen leben gerade mal 2,8 Prozent einer anderen Nationalität an, ein Witz im Vergleich zu Hamburg oder Baden-Württemberg. Trotzdem schafft es die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ausgerechnet hier im Jahr 2004 ihren größten Wahlerfolg seit langem einzufahren: Mit 9,2 Prozent zieht sie in den Landtag ein. Zwei Jahre später wird sie auch in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern gewählt. rustriert über die hohe Jugendarbeitslosigkeit im Osten und den damit fehlenden Perspektiven, geben vorwiegend junge Leute ihre Stimme der NPD, die mit populistischen Sprüchen wie „Arbeit nur für Deutsche“ um die Wähler buhlt.

Perspektivlosigkeit auch im Westen Deutschlands, allerdings auf Seiten der jungen Ausländer von denen die meisten ursprünglich aus der Türkei stammen. Laut der Pisa-Studie der OECD, haben in keinem anderen Industriestaat der Welt Migrantenkinder schlechtere Zukunftschancen als in Deutschland. Sie sind die Opfer einer schlechten Integrationspolitik eines Landes von dem die CDU, eine der größten Volksparteien lange behauptete, dass es überhaupt kein Einwanderungsland sei. Als vor ein paar Monaten zwei Jugendliche, in der größten Boulevardzeitung nur als „Türke“ und „Grieche“ bezeichnet, in der Müncher U-Bahn einen Rentner verprügeln, geht ein Aufschrei durch die Bundesrepublik. Hessens Ministerpräsident Roland Koch von der CDU macht die Geschichte zu seinem Wahlkampfthema. Es beginnt eine Wochenlange Hetzkampagne in denen Sätze fallen wie: „Wir haben zu viele kriminelle Ausländer.“ Die NPD gratuliert zu dieser Einsicht und so mancher fragt sich, in was für einem Land er hier eigentlich lebt in dem es für Migranten anscheinend nur die Rolle des Opfers oder des Täters gibt.

ANTONIE RIETZSCHEL

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